Mittwoch, 27. November 2019

Wirtschaftsnobelpreis 2019 und Bekämpfung der Armut




Als Auszeichnung für Forschungen zur Armutsbekämpfung werden die Ökonomen
Abhijit V. Banerjee
und Esther Duflo sowie Michael Kremer 
[1] mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2019 geehrt. Dank etlicher Arbeiten hat sich die Entwicklungsökonomie zu einem blühenden Wissenschaftsfeld gewandelt. Denn der Wirtschaftsnobelpreis wurde bisher meist an Schöpfer komplexer Theorien – und meist Männern verliehen – in der Regel für Grundlagenarbeiten, die Jahrzehnte zurückliegen. Nun werden Verfechter einer extremen Methode geehrt: Im Kampf gegen die Armut setzen sie auf Experimente in Entwicklungsländern im Kontext von Weltwirtschaftsordnung und Wirtschaftsethik.
--- Tagesschau 24, 14.10.2019: https://www.youtube.com/watch?v=deokhHiPP1c
Esther Duflo ist die zweite Frau, die mit dieser Ehrung bedacht wurde.
2009 wurde als erste Frau die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom gemeinsam mit einem Kollegen ausgezeichnet. Details: https://de.wikipedia.org/wiki/Elinor_Ostrom
Anlässlich der Ehrung mit dem Wirtschaftsnobelpreis wird ihr gemeinsames Werk neu aufgelegt:
Abhijit V. Banerjee / Esther Duflo:
Poor Economics: A Radical Rethinking of the Way to Fight Global Poverty.
New York et alii: Perseus Books 2011, Reprint 2012, 320 pp.
--- Weitere Informationen:
https://www.perseusbooks.com/?s=Duflo
--- Hompepage “Poor Economics”: http://web.archive.org/web/20190414231629/www.pooreconomics.com/
Deutsche Ausgabe:
Poor Economics. Plädoyer für ein neues Verständnis von Armut.
München: Random House 2019, 384 S.
--- ISBN: 978-3-570-55430
 
Die ZEIT schrieb dazu: »So ehrlich beobachtet, nachgefragt, experimentell belegt und ohne Rücksicht auf politische Korrektheit aufgeschrieben, wurde das alles noch nie. Das macht ‘Poor Economics’ zu einem sehr wichtigen Buch«.
Alle Konzepte für den Kampf gegen Hunger und Armut können nicht greifen, wenn sie auf falschen Annahmen basieren. Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee reisen in arme Länder und untersuchen mithilfe von Zufallsexperimenten und Kontrollgruppen, eigentlich einer naturwissenschaftlichen Methode, was gegen Hunger, Armut und Misswirtschaft wirklich hilft und was nicht. Als Beispiel nennen sie die Bildungssituation von Kindern in Entwicklungsländern: In vielen armen Ländern gehen Kinder kaum oder nur unregelmäßig zur Schule, viele brechen die Schule vorzeitig ab, viele kommen nicht mit,und lernen nur wenig. Aber die Gründe hierfür sind hoch komplex. Es kann sein, dass Schulen und Lehrerinnen und Lehrer fehlen, dass die Sicherheitslage instabil ist, dass die Kinder aus Hunger gar nicht erst den Schulweg antreten können oder sie zu Hause auf dem Feld oder dem Markt mitarbeiten müssen.
Die sich hier Engagierenden und Geehrten sind Teil eines Netzwerks von Armutsforscherinnen und -forschern und allein am Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab sind mehr als 100 Wissenschaftler tätig. Details: https://www.povertyactionlab.org/
Über diese Einrichtung ist eine weitere große Vielzahl von  Forschern und Forscherinnen - überall auf der Welt - miteinander vernetzt:  Dazu gehören auch Beiträge des Göttinger Wissenschaftlers Stephan Klasen zur Armutsforschung sowie zu geschlechtsspezifischer Ungleichheit in Entwicklungsländern. [2]

Der britische Ökonom Angus Deaton – 2015 selbst mit dem Nobelpreis für seine Armutsforschung ausgezeichnet - meinte allerdings, dass für diese Forschung aufwendige und langwierige Experimente erforderlich sind, bei denen oft Tausende Menschen jahrelang beobachtet werden müssen. Das sei teuer und bringe am Ende wenig.  Die Stichproben seien oft zu klein für verlässliche wissenschaftliche Aussagen. Man müsse der Methode "den Heiligenschein nehmen" und sie als "ein menschliches Ding ansehen, mit all ihren Fehlern". Doch Duflo meinte, in vielen Ländern seien "viele Menschen tief besorgt über ihre Stellung in der Welt; sie meinen, ihre Würde verloren zu haben und nicht mehr den Platz zu haben, den sie zu verdienen glauben". Der Armutsfalle entkommen nämlich viele Arme nicht. Sie bleiben dauerhaft arm – auch, weil sie ihre Hoffnung verloren haben. 
Bei der Entwicklungshilfe gibt es ebenfalls zu wenige Belege für die Erfolge bestimmter politischer Maßnahmen. Die Entwicklungspolitik hat es daher schwer. Im Gegensatz zu den großen Fragen der Außen-, Innen-, und Wirtschaftspolitik steht sie selten im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die immer wiederkehrenden humanitären Katastrophen in vielen Teilen der Welt sorgen nur für kurze Aufmerksamkeit.
Hier muss sich grundlegend etwas ändern!


Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn

Archiv/Freyer-Wirtschaftsnobelpreis 2019

CC



[1]  Esther Duflo, geboren 1972 in Paris, ist Professorin für Armutsbekämpfung und Entwicklungsökonomie am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo sie zusammen mit Abhijit V. Banerjee das »Poverty Action Lab« gründete, das ein weltweites Netz von Soziologen und Ökonomen koordiniert. Duflo erhielt 2011 die John Bates Clark Medal, nach dem Nobelpreis als wichtigste Ehrung für Wirtschaftswissenschaftler. 2019 wurde sie gemeinsam mit Ehemann Abhijit V. Banerjee mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet.
Abhijit V. Banerjee, geboren 1961 in Bombay, gehört ebenfalls zu den renommiertesten Wirtschaftswissenschaftlern der Welt. Er ist Professor am MIT (Massachusetts Institute of Technology an der Universität Cambridge, USA) und berät die UNO, die Weltbank und die indische Regierung.
Details:
https://de.wikipedia.org/wiki/Massachusetts_Institute_of_Technology
Michael Kremer, geboren 1964, stammt aus einer jüdischen Familie. Er schloss sein Studium an der Harvard University ab (1985 mit einem Bachelor in Sozialwissenschaften und 1992 mit einem Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften). Er war von 1992 bis 1993 Postdoc am Massachusetts Institute of Technology (MIT), im Frühjahr 1993 Gastdozent an der University of Chicago und von 1993 bis 1999 Professor am MIT. Seit 1999 ist er Professor an der Harvard Universität.


[2] Überlegungen anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Wirtschaftswissenschaftler
Stephan Klasen –an der Universität Jaume I Valencia:
 https://www.youtube.com/watch?v=3JlWnjFM6I8  ---
https://intra-tagebuch.blogspot.com/2018/04/uberlegungen-anlasslich-der-verleihung.html

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