Freitag, 9. Februar 2018

Der Islam in Indonesien - Demokratische Veränderungen und das Ende der Toleranz (!?)

Jakarta: Große Moschee und Katholische Kirche
in unmittelbarer Nachbarschaft (Foto: 1992)
"Sprich: Oh ihr Ungläubigen!
Ich verehre nicht,
was ihr verehrt,
Noch verehrt ihr,
was ich verehre.
Und ich werde nicht verehren,
was ihr verehrt,
Noch werdet ihr verehren,
was ich verehre.
Ihr habt eure Religion,
und ich habe meine!"

             Sure 109, Verse 1-6
              (s.u. Anm 1)




Islam in Post-Reformasi Indonesia: The End of Tolerance?
Bericht zur Konferenz: Universität Bonn, 13.01.2018 - 14.01.2018
von Eckhard Freyer

Das Konferenzprogramm: hier 



Einleitung

Die Veranstalter:
Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn  und
die Stiftung Asienhaus in Köln  setzen sich für die Verwirklichung der Menschenrechte, für die Stärkung gesellschaftlicher und politischer Teilhabe, sowie für soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt ein. Sie fordert von Politik und Wirtschaft die Verwirklichung sozialer, ökologischer und menschenrechtlicher Standards. Wir sind heute Zeugen einer Globalisierung, die den Gegensatz zwischen Arm und Reich verschärft und die Lebensgrundlagen der Menschen in vielfältiger Weise bedroht. Denn in einem aufsehenerregenden Blasphemieprozess gegen den amtierenden christlichen Gouverneur von Jakarta, Basuki Tjahaja Purnama, hat ein indonesisches Gericht den Politiker zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Richter befanden Purnama wegen abfälliger Bemerkungen über den Koran der Gotteslästerung für schuldig. Zugleich ordneten sie die sofortige Verhaftung des 50-Jährigen an. Mit dem Urteil ging das Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Diese hatte eine einjährige Haftstrafe auf Bewährung gefordert. Purnama hatte bei einer Wahlkampfveranstaltung im Herbst dem Chef der radikalen islamischen Verteidigungsfront (FPI) vorgeworfen, mit einem Vers aus dem Koran Muslime an der Wahl des Christen hindern zu wollen. Ein Videomitschnitt der Rede sorgte im Internet für Aufruhr, rund 400.000 Menschen gingen gegen den seit 2014 amtierenden Gouverneur auf die Straße. Das Verfahren überschattete auch die Gouverneurswahl in Jakarta, die als Stimmungstest für den Umgang Indonesiens mit Minderheiten galt. Mit mehr als 200 Millionen Muslimen ist der Inselstaat das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt. Christen gehören mit etwa 20 Millionen zu den Minderheiten. Aus europäischer Per­spektive tropische Inseln als Teil des Pazifischen Feuerrings: Erdbeben und vulkanische Aktivitäten gehören dazu doch meist im Schatten anderer aufstrebender Mächte wie Indien oder China. Indonesien ist ein Land größter Gegensätze:
Auf 17 000 Inseln verteilen sich über 300 Ethnien. Den demokratischen Entwicklungen stehen Probleme wie Armut und wachsende religiöse Spannungen gegenüber. http://www.bpb.de/apuz/75757/indonesien




2. Basis of the conference
Often taken as a role-model for a successful synthesis of Islam and pluralism in the past, Indonesia’s image of a tolerant country has been tarnished in recent years. Religious minorities like Ahmadis and Shiites, human rights activists and people of non-binary gender identity became targets of fundamentalist groups. The state often failed to ensure the rights and safety of the threatened. Rather, politics and the state became also influenced by a new conservativism, most often by applying religion as political capital. In the course of the trial against the former Christian governor of Jakarta and huge demonstrations carried out by Islamist groups, the national motto of "Unity in Diversity" (Bhinekka Tunggal Ika) has again become a subject of debates.
The conference "Islam in Post-Reformasi Indonesia: The End of Tolerance? Re-negotiating the Relations between State and Society" aims to bring together scholars from different disciplines as well as people from civil society, media and government. We hope to get a better insight into current developments in Indonesia since the re-negotiation of the relation between Islam, pluralism and democracy. This is also an important point of reference for ongoing discussion in other Muslim societies.
The following questions were discussed:
  • Is unity still possible in the course of the growing influence of hard-line-organizations demanding the superiority of Sunni Islam in Indonesia?
  • What does "diversity” mean in a country where the practicing of indigenous and other minority beliefs are more and more restricted?
  • Moreover, can the tolerance expressed in the motto of Bhinekka Tunggal Ika be maintained and used as a blueprint for other Muslim societies?
  • Which role do state and religious institutions such as the Nahdlatul Ulama and Muhammadiya take within the context of conflicting ideas of religion and pluralism?
  • Is the world’s third largest democracy culturally and institutionally prepared for the challenges of radical Islam?
3. Historische Aspekte
Als politische Ideologie wurde der Islam von den niederländischen Kolonialherren unterdrückt, vor allem als sich Anfang des 20. Jahrhunderts, insbesondere unter arabischem Einfluss, neue Strömungen herausbildeten und islamische Organisationen formierten. 1912 bildete sich die von reformistischen Ideen inspirierte, modernistische Muhammadiyah, deren Gründung wiederum einer der auslösenden Faktoren für die Entstehung eines traditionalistischen Pendants war, der Nahdatul Ulama im Jahre 1926. Die koloniale Schwächung des politischen Islams hatte zur Folge, dass sich zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit im Jahre 1945 moderate Muslime und Angehörige religiöser Minderheiten gegen Islamisten, die in einem Verfassungszusatz die Befolgung der Scharia zur Pflicht aller Muslime machen wollten, durchsetzen konnten. Obwohl sich seit den 1950er Jahren nach Ansicht der meisten Indonesien-Experten und Islamwissenschaftler eine viele Bereiche umfassende Islamisierung vollzogen hat, lässt sich eine Schwächung islamischer bzw. islamistischer Parteien konstatieren. 1955 bekamen die beiden stärksten islamischen Parteien (die in der Verfassunggebenden Versammlung Ende der 1950er Jahre islamistische Positionen einnahmen), Nahdatul Ulama und Masyumi, zusammen knapp 40 Prozent der Stimmen. Bei den Wahlen 1999, den ersten fairen und freien Wahlen seit 1955, waren säkular orientierte Parteien eindeutig am erfolgreichsten. Präsident Sukarno (1945-1967) griff in den ersten Regierungsjahren die gesellschaftliche Partizipation am Aufbauprozess des unabhängigen Indonesiens auf. Ab der "gelenkten Demokratie" (1959) und spätestens in der "Neuen Ordnung" unter General Suharto (1967-1998) hatte die gesellschaftliche Komponente einem rein ökonomisch durchdachten Entwicklungsansatz zu weichen.
Seit Sukarno dem 240-Millionen-Volk vor 70 Jahren die "Einheit in der Vielfalt" verordnet hat, hat sich ein starkes Nationalbewusstsein entwickelt. 42 Prozent der etwa 240 Millionen Indonesier sind ethnische Javaner. Diese dominieren das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben des gesamten Landes. Mit der Vielfalt und Toleranz gegenüber Andersdenkenden tun sich allerdings immer noch viele schwer.


4. Aktuelle Entwicklung
Die Demokratisierung ab 1998 hat islamistischen Kräften neue Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Ideen gegeben Besorgniserregend ist auch die zunehmende religiöse Intoleranz und Radikalisierung islamistischer Gruppen im bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt. Christliche Kirchen sehen sich und ihre Mitglieder seit einigen Jahren verschärft schikaniert und, meist unter Vorschiebung bürokratischer Gründe wie fehlender Genehmigungen, an der Ausübung des Gottesdienstes gehindert. Doch sind es weniger die Behörden, als vielmehr radikalislamische Gruppierungen wie die FPI ("Front der Verteidiger des Islams"), die sich als Moralwächter aufspielen. Zahllose Kirchen wurden in den vergangenen Jahren - ungeahndet - offen oder klammheimlich niedergebrannt und der zunehmende Einfluss konservativer Muslime. Seit mehreren Jahren werden in zahlreichen Distrikten Verordnungen erlassen, die sich an der Scharia orientieren; sie verbieten Prostitution, Alkoholkonsum und Glücksspiel oder schreiben bestimmte Kleidungsformen und Verhaltensweisen insbesondere für Frauen vor. In der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra wurde 2009 sogar das islamische Strafrecht eingeführt, das unter anderem Steinigung bei Ehebruch vorsieht. 2008 setzten konservative Politiker im indonesischen Parlament das Pornografie-Gesetz durch: Es sieht hohe Strafen für vage definierte "unzüchtige" Darstellungen und Handlungen vor. Ein interministerielles Dekret erteilte vor ein paar Jahren Angehörigen der Ahmadiyya-Sekte die Erlaubnis, sich zu versammeln, nicht aber ihre Lehre zu verbreiten, woraufhin die Sekte vermehrt zur Zielscheibe von Islamisten wurde. Nach Angaben der indonesischen Nichtregierungsorganisation Setara kam es 2007 aus religiösen Gründen zu insgesamt 135 Angriffen auf Mitglieder anderer Glaubensgemeinschaften, 2010 waren es 216 und 2011 244. Als im Februar 2011 ein Priester von einem Distriktgericht wegen Blasphemie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, griffen Extremisten, denen das Urteil zu mild war (sie forderten die Todesstrafe), drei Kirchen in Temanggung (Zentraljava) an. Die Zunahme interreligiöser Spannungen und die größere Präsenz einer Vielzahl islamistischer Organisationen ist eine Folge der demokratischen Öffnung, die radikalen Muslimen neue Freiräume eröffnet hat, und der Globalisierung, die transnationale Einflüsse verstärkt und zugleich das Bedürfnis nach einer deutlichen Unterscheidung zwischen dem Eigenen und dem Fremden wachsen lässt. 
In Indonesien führt dies zu einer Pluralisierung und verminderter Toleranz gegenüber Minderheiten zugleich: http://www.bpb.de/apuz/75768/politischer-islam-in-indonesien-seit-1998?p=all


Anmerkungen 

1. In der Sure 109, Verse 1-6, die mit der Aufforderung "Sprich" beginnt, legt Gott seinem Propheten Mohammed die Worte in den Mund, die er an seine mekkanischen Landsleute richten soll. Ihnen wird überdeutlich klar gemacht, dass Mohammed einen anderen Glauben hat als sie. Der letzte Vers leitet daraus die Forderung ab: "Ihr habt eure Religion und ich habe meine!"
Die Diskriminierung anderer Religionen zieht sich wie ein roter Faden durch die islamische Geschichte. Da der Islam für seine Gläubigen die einzig wahre und letztgültige Religion ist, können andere Religionen per se nicht gleichberechtigt sein.
Deshalb kennt der Islam keine religiöse Toleranz; sie ist ein Wunschbild des Westens:
http://www.deutschlandfunk.de/sure-109-der-islam-kennt-keine-religioese-toleranz.2395.de.html?dram:article_id=407920 
Dass aber die Anhänger dieses Wunschbildes selbst nicht mehr daran glauben, zeigt sich immer häufiger in der vorauseilenden Unterwürfigkeit, mit der in Europa christliche Positionen geräumt werden. Vielerorts werden in der Öffentlichkeit keine Christbäume mehr aufgestellt, in der Schule werden keine Weihnachtslieder mehr gesungen, und als bisheriger Höhepunkt legten zwei deutsche Bischöfe auf dem Jerusalemer Tempelberg ihre Kreuze ab, um den muslimischen Hausherren "ihren Respekt" zu bezeugen. Wäre es nicht an der Zeit, dass sich Europa auf Sure 109 besinnt: "Ihr habt eure Religion und ich habe meine!"? 

Vgl.  Willi Steul  (Hg.): "Koran erklärt". Berlin: Suhrkamp 2017 --- Rezension: hier

Stellungnahme der  Ev. Kirche im Rheinlandhttp://www.ekir.de/www/downloads/DS30FuerdieBegegnungmitMuslimen.pdf "
Für die Begegnung mit Muslimen. Theologische Positionsbestimmung." Ein vierzigjähriges Engagement im christlich-muslimischen Dialog, von der Wertschätzung der Muslime für Jesus und vom Willen, auch in schwierigen Zeiten am Dialog festzuhalten. Der Dialog ziele heute auf das gegenseitige Kennenlernen, das Aushalten von Differenzen, und - ein Paradigmenwechsel im Missionsverständnis?- "nicht aber auf eine Konversion zur jeweils anderen Religion." 



Literaturhinweise:
  • Hans-Dieter Striening: Das Osterinsel-Syndrom: Bevölkerungswachstum-Armut-Arbeit-Wohlstand.
    Düseldorf / Berlin 2001
  • Reinhard Schulze: "Geschichte der Islamischen Welt. Von 1900 bis zur Gegenwart"
    C.H Beck München 2016
  • Ludger Kühnhardt /Tilman Mayer (Hg.): Bonner Enzyklopädie der Globalität. Band 2.
    Wiesbaden: 2017, 1627 S.
  • Eckhard Freyer:
    --- Zu den Auswirkungen reduzierter Öleinnahmen
         auf die Entwicklung Saudi-Arabiens und die Weltwirtschaft.
         In: Orient, Heft 2/1984, S. 204 – 222
    --- Die Golfstaaten zwischen Ölboom und Ölpreisverfall.
        Aus Politik und Zeitgeschehen. Beilage zu
        Das PARLAMENT, B 18/1986 v. 3.5.1986, S. 30 – 45.
    ---  Externe Einflüsse auf traditionelle Kulturen in der Golfregion,
         in: Pawelka/A. Maho Aves: Arabische Golfstaaten in der Krise, Frankfurt M. 1990, S.32-64.
    --- Die wirtschaftliche Entwicklung der asiatischen Schwellenländer;
         in ZfK 4/1991, S. 500- 522.
         Ethik der Finanzmärkte und Globalisierung in islamischen Ländern,
         in: Religionen im Gespräch, Bd. 7 (RIG 7)2002, S. 168 – 185

Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn, verfolgt im Rahmen seiner Forschungsarbeiten seit Jahrzehnten auch die Situation in Indonesien.






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