Um Orientierung in gesellschaftlichen Fragen aus dem „Herzen
des Judentums“ bzw. „aus dem Herzen des Christentums“ – darum ging es bei der
Neuauflage des jüdisch-christlichen Lehrhauses, das am Reformationstag dieses
Jahres und am 1. November in der Evangelischen Akademie Villigst stattfand.
Statt sich auf die klassische Arbeitsform des Lehrhauses zu konzentrieren,
nämlich gemeinsam – Juden und Christen – an Texten der Thora, des Talmuds oder
der griechischen Bibel zu arbeiten, war der Ausgangspunkt bei dieser Tagung die
Suche nach Antworten auf die anstehenden Fragen in der gegenwärtigen
gesellschaftlichen Debatte.
Ausgangspunkt war dabei das vom Zentralrat der
Juden in Deutschland und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund
herausgegebene erste deutschsprachige Standardwerk zu Fragen jüdischer Ethik
unter dem Titel „’Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg’ – Ethik im Judentum“, das
sich u.a. dadurch auszeichnet, dass es die vorherrschenden Meinungen des
orthodoxen, konservativen und progressiven Judentums widerspiegelt und somit
ein sehr differenziertes Bild der jüdischen Ethik zeigt.
„Welche Rolle spielt eine jüdische Ethik in den
gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart?“, wenn die Religionen insgesamt - wie
doch ersichtlich - immer mehr an Einfluss verlieren, wurde in der Diskussion
als Fragehorizont immer wieder thematisiert. Shila Erlbaum, Kultus- und
Bildungsreferentin beim Zentralrat der Juden in Berlin, lud in ihrer Einführung
dazu ein, das Lehrbuch als eine Hilfestellung zur moralischen Urteilsbildung
aus unterschiedlichen jüdischen Quellen zu verstehen und dadurch auch für einen
Dialog der Religionen über gesellschaftliche Fragen in der Gegenwart einzutreten.
In der Diskussion zeigte sich als Subtext immer wieder die Anfrage, wie es
gläubigen Menschen – Juden und Christen gemeinsam – gelingen kann, durch ihr
Handeln das, was in der Welt aus dem Schöpfungsgleichgewicht gekommen ist,
wieder neu zu justieren. Zugleich kam immer wieder zum Ausdruck, dass die
Teilnehmenden an einem intensiveren und umfangreicheren Dialog mit jüdischen
Gemeinden interessiert sind.
Die „unbekannte Freundschaft zwischen Abraham Jehoshua
Heschel und Martin Luther King“, in die Landeskirchenrat Dr. Volker Haarmann
aus Düsseldorf einführte, zeigt beispielhaft, wie stark durch einen intensiven
Dialog zwischen Judentum und Christentum die Welt verändert werden kann.
„Praying with my feet“ ist dann eine klare Aufforderung an die Religionen, den
„Sprung zur Tat“ zu wagen.
Prof. Dr. Klaus Müller aus Heidelberg bzw. Karlsruhe
und Rabbi Jehoshua Ahrens gestalteten
durch ihre Beiträge den 2. Tag des Lehrhauses. Mit Entschiedenheit verwies Prof.
Klaus Müller darauf, dass für den jüdisch-christlichen Dialog eine neue Weise
des Habitus auf christlicher Seite gefordert ist, der als Voraussetzung für ein
emanzipatorisches Zugehen aufeinander geprägt sein sollte von dem
Selbstverständnis, die andere Tradition zu Ende reden zu lassen
Mit dem Hinweis auf das Papier der orthodoxen Rabbiner „Den
Willen unseres Vaters im Himmel tun: Hin zu einer Partnerschaft zwischen Juden
und Christen“ scheint nach Auffassung von Rabbi Ahrens auch auf jüdischer Seite
eine neue Dialogphase zu beginnen. Da wir in beiden Religionen vor der Frage
stehen: „Was können wir gemeinsam tun?“, um deutlich zu machen, dass die
Religion eine Quelle des Friedens und nicht des Krieges ist, wir können die
Begegnungen im Rahmen dieses Lehrhauses nicht hoch genug wertgeschätzt werden –
als ein Gang zu den gemeinsamen Quellen des Glaubens, der im nächsten Jahr zum
selben Zeitpunkt fortgesetzt werden soll.
Pfarrerin Sigrid Reihs, Schwerte
Bericht in der Jüdischen Allgemeinen vom 03.11.2016: So fremd und doch so nah
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