Sonntag, 26. Juli 2015

Der Zeichenstift steht über der Barbarei - "Charlie Hebdo" und das "Vermächtnis" von Charb (aktualisiert)


Arabisch: Frieden
Die Brutalität, mit der die Freiheit des Wortes und die Diskussion unterschiedlicher Anschauungen zerstört werden, hat eine neue Dimension bekommen. Das Attentat auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo mit 12 Ermordeten und die Gewalttat in einem jüdischen Supermarkt sind extrem beunruhigende Angriffe auf die Demokratie und das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Glaubens- und Denkrichtungen. 
Die Überlebenden der Zeitschrift "Charlie Hebdo" haben auf ihrer Homepage darum ein Signal gesetzt. Sie lassen sich von der Gewalt nicht irritieren. 

Jetzt ist ein Text von Stéphane Charbonnier veröffentlicht worden. "Charb", der bei dem Anschlag ermordete "Chef-Zeichner" des Satiremagazins, setzt sich mit den "Heuchlern" und "Schurken" auseinander. Kurz vor seinem Tod hat er diesen Text niedergeschrieben. Er wirkt wie ein Vermächtnis und ist zugleich eine Abrechnung mit denen, die "Charlie Hebdo" Islamophobie und neuen Rassismus unterstellen. Das betrifft in besonderer Weise auch die Medien und z.B. ihren Umgang mit den Mohammed-Karikaturen:

Der Zeichenstift wird über der Barbarei stehen. 


Charlie Hebdo - arabische Pressestimmen: "Empörung - über wen?",
zusammengefasst in der NZZ online, 22.01.2015






Zur Karikatur auf der Titelseite:
Um wen weint Mohammed?  FAZ online, 15.01.2015



Ein Voltaire zugeschriebenes Votum  bringt die aufklärerisch-gewaltlose Haltung (in mehreren Variationen vorhanden) bereits vor 250 Jahren auf den Punkt: 

Ich mag verachten
 (verabscheuen, keineswegs einverstanden sein
 mit dem),was du sagst,
 aber ich werde mein Leben dafür geben,
 dass du es sagen darfst.


Das muss auch deshalb herausgehoben werden, weil "Charlie Hebdo" in seiner satirischen Schärfe keinerlei Pardon kennt. Alle Religionen kamen immer wieder ins Visier der Zeichner - oft sehr zum Ärger der Betroffenen. Aber die Gerichte entschieden immer wieder: Satire darf das!

                     

Die Laizität ist keine Meinung, es ist die Freiheit, eine Meinung zu haben (Comité Laïcité République)


Die schrecklichen Attentate haben eine weltweite Solidarität ausgelöst,
provozieren aber nicht nur friedliche Äußerungen der Missbilligung. 
sondern erneut Gewalt!
Auswahl
von Berichten, Reden, Briefen und Reaktionen
 

Wir möchten im Gedenken an die Ermordeten und an alle Betroffenen nicht nur unser tiefes Mitgefühl ausdrücken, sondern versichern, dass wir uns im Sinne der versöhnenden Kraft in allen Religionen für aktive Toleranz weiterhin einsetzen werden.

Interreligiöse Arbeitsstelle (INTR°A)
Reinhard Kirste
 



Unser Mitglied, Dr. Bekir Alboga, hat uns bereits am 07.01. die Erklärung des Vorstandes der Türkisch-Islamischen Union (DITIB Köln) übermittelt, die sofort auf der INTR°A-Willkommensseite veröffentlicht wurde:
Am heutigen Tage um 11 Uhr hat sich in der französischen Hauptstadt Paris bei dem
Satiremagazin "Charlie Hebdo" ein terroristischer Akt ereignet. 

Diesen grausamen Angriff auf „Charlie Hebdo " verurteilt 
die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) auf das Schärfste.
Diesen Terroranschlag, bei dem insgesamt 12 Menschen, einschließlich 2 Polizisten, 

ihr Leben verloren und viele verletzt wurden, 
bewerten wir als Angriff auf die Menschheit.
Dies ist niederträchtig und absolut inakzeptabel. 
Unser aller Schöpfer gebietet die Achtung seiner vielfältigen Schöpfung. 
Die Unverletzlichkeit des Menschen, seiner Würde
und seiner Integrität ist darin zentral.
Wir teilen den Schmerz der Menschen in Frankreich und der Angehörigen derer, 

die bei diesem terroristischen Angriff ihre Leben verloren.

Beileidsbekundung des INID-Instituts Hamm vom 07.01.2015
- in Verbindung mit INTR°A-Mitglied Muhammet Mertek


Rundmail vom Koordinator des Interreligiösen Forums Lüdenscheid
und  INTR°A-Mitglied Achim Riggert, 09.01.2015


Liebe Freundinnen und Freunde des interreligiösen Dialogs!
Und insbesondere: Liebe muslimischen Freundinnen und Freunde!
Ich glaube, uns alle hat die Nachricht von dem schrecklichen Attentat in Paris tief erschüttert und entsetzt. Es ist furchtbar, wenn Haß und Fanatismus zu solch mörderischen Taten führen!
Ebenso schlimm ist es, wenn dieser Anschlag jetzt dazu benutzt wird, pauschale antiislamische Ressentiments zu schüren - wie es z.B. die Initiatoren der sogenannten "Pegida-Bewegung" auf ihre Fahnen geschrieben haben! Ich bin froh, dass wir alle - nicht zuletzt durch die intensive und freundschaftliche Zusammenarbeit in unserem Forum - wissen, dass ein solches Attentat wie das von Paris nichts, aber auch gar nichts mit dem Islam zu tun hat! Im Gegenteil: Es lästert den Gott und seine Gebote, an den wir gemeinsam glauben! Zugleich hat es nichts mit dem zu tun, was die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland und in Europa anstreben und vorleben!
Ich möchte deshalb Ihnen, liebe muslimischen Freundinnen und Freunde, im Namen des Forums meine tiefe Solidarität aussprechen und Ihnen versichern, dass wir alles dafür tun werden, dass dieses Attentat nicht pauschal mit dem Islam und der übergroßen Mehrheit der friedliebenden Muslime in unserem Land in Verbindung gebracht wird! Lassen Sie uns gemeinsam weiterhin für ein friedliches Zusammenleben in einem "bunten" Deutschland eintreten, in dem nicht nur der Islam, sondern auch viele andere Glaubensgemeinschaften ihren Platz und ihre Heimat haben! Ich freue mich jedenfalls sehr auf die weitere Zusammenarbeit!


INTR°A-Mitglied Dr. Ali Özgür Özdil hat am 08.01.2015 
den folgenden Beitrag auf Facebook gepostet
Liebe Freunde,
wann ist der richtige Zeitpunkt, um etwas Erfreuliches und Positives zu teilen? Gibt es einen Tag oder auch nur eine Stunde, wo nicht etwas Schreckliches passiert? Ist es nicht schrecklich, dass in einigen Ländern seit Jahrzehnten Krieg herrscht, gefolgt von Mord, Vergewaltigung, Folter, Vertreibung...? Ist es nicht schrecklich, das in so vielen Ländern Hunger herrscht und alle drei Sekunden ein Kind an Hunger stirbt? Ist es nicht schrecklich, dass wir in einem Land leben, dass so grausame Kriege hinter sich hat und dennoch weiterhin zu den größten Produzenten und Exporteuren von Waffen zählt?
Opfer sind immer Opfer von Tätern. Täter sind häufig selbst Opfer von Tätern, von Tätern, von Tätern… Die große Preisfrage lautet: Wer ist schuld? Unsere erste Reaktion ist doch häufig die Frage nach den Schuldigen. Denn es ist auffällig, dass bei Taten, wie etwa gestern in Paris, den Tätern eine größere Aufmerksam geschenkt wird, als den Opfern? Wer sind die Todesopfer und die Verletzten? Wie geht es gerade ihren Familienangehörigen? Wie groß ist gerade der Schmerz, den sie ertragen müssen? Wie können wir ihren Schmerz lindern? Was wird eventuell aus ihren Partnern und Kindern, sofern sie welche haben?
Ich selbst stelle mir auch immer wieder die Frage: Wem nützen solche Verbrechen?
Zurück zu den Opfern: Verdient ein Mensch wirklich den Tod, selbst wenn er sich über Gott, den Propheten, den Koran lustig macht, etwa durch Satire? Mir ist weder ein eindeutiger noch ein mehrdeutiger Koranvers dazu bekannt. Was haben die ersten Muslime in den ersten 12 Jahren in Mekka nicht alles an Spott, Folter, Boykott, Mord und Vertreibung ertragen müssen? Dass sich irgendwelche Leute über den Islam lustig machen, ist doch nichts Neues. Der Prophet wurde bereits von seinen Zeitgenossen als Dichter verspottet oder als Besessener beschimpft. Ich erinnere mich an Überlieferungen, wo der Prophet direkt beleidigt wurde: Abu Djahl sagte zum Propheten: „O Muhammad, ich kenne in deiner Sippschaft niemanden, der hässlicher ist als du“. Doch was war die Reaktion des Propheten? Er sagt: „Du hast Recht…“ Als ein Mann den Propheten beleidigte und der Prophet schwieg, schimpft sogar seine Frau und sagte: „Warum hast du dir das gefallen lassen…?“ Was aber sagte der Prophet: „O Aischa! Hast du je ein schlimmes Wort aus meinem Mund gehört?“
Gerade an Tagen wie diesen, ist es notwendig, sich den Grundsätzen des Islam bewusst zu werden: Mord und Selbstmord gehören zu den größten Sünden (dazu gib es wiederum eindeutige Verse im Koran). Das Töten ist nur zur Selbstverteidigung oder in Notwehr erlaubt. Selbst im Kontext des Krieges gilt: Wer sich nicht an der Kampfhandlung beteiligt, ist zu verschonen (Beispiel: Zivilisten). Zu Selbstmord gilt: Niemand darf sich den Ort, den Zeitpunkt oder die Art seines Todes selbst aussuchen. Gott schenkt und nimmt das Leben.
Jeder Mord ist ein Brudermord. Das gilt nicht nur für Kain und Abel, wo der erste Brudermord stattfand oder für die Nachkommen Abrahams (Araber und Juden).
Die Täter von Paris haben – wie alle anderen Täter auch, die in der Vergangenheit das Bild unseres schönen Glaubens verfälscht haben – auch uns Muslime zu Opfern gemacht. Wieder einmal sitzen wir auf der Anklagebank und wieder verlangt man von uns, uns zu distanzieren. Ja, wir distanzieren uns von den Tätern. Aber nicht nur von den Tätern, sondern auch den Tätern, dessen Opfer diese Täter sind: Von verfehlter Politik, von ausbeuterischer Wirtschaft, Hetzmedien, von rassistischen Arbeitgebern, Wohnungseigentümern, Passanten, Eltern, Lehrern und Hasspredigern, aber auch von jenen, die wegschauen und vor allem von jenen, die von alledem irgendwie wirtschaftlich, politisch oder medial ihren Profit schlagen.
Je mehr wir erfahren, was so alles auf unserer Welt passiert, umso größer ist doch unser Schmerz. Es sei denn, wir gehören zu den Ignoranten. Dass allerdings ist definitiv nicht die Eigenschaft eines Gläubigen.

Antwort von Angela Amecke,
Schauspielerin und lNTR°A-Mitglied aus Montpellier am 09.01.2015: 


Liebe Freunde des Iserlohner Diwan und des interreligiösen Dialogs,
ich habe in diesen Tagen an euch gedacht - hier aus Frankreich, wo ich jetzt wohne. Ich habe ich an unsere gemeinsamen Gebete und Gespräche in der Welt der Religionen erinnert. Wie viel habe ich dadurch  gelernt. Wenn Menschen beten, egal wo in der Welt, dann ist bereits Frieden.
Das habe ich erlebt, und es hat mich geprägt: in Deutschland, Rumänien , Indien, Maroko, Tunesien, Bali, Mexiko und wo immer ich war.
Das was jetzt in Frankreich geschah, ist nicht das Werk gläubiger Menschen. Es ist  nur Terror, Hass, Verachtung.
Ich habe immer als Christin für Muslime gebetet und hoffe, das sie es auch für mich tun. Das ist Dialog für mich.
Mit euch verbunden und dankbar, dass es euch gibt.

Brief des Silsilah Dialogue Movement vom 10.01.2015 an die muslimischen Freundinnen und Freunde - übermittelt von INTR°A-Mitglied,
Prof. Dr. Leonard Swidler, Philadelphia (USA)
 
 




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