Sonntag, 19. März 2023

Denis Diderot - ein Aufklärer aus Langres (aktualisiert)

Geburtshaus von Denis Diderot, Musée des Lumières

Die nordfranzösische Stadt Langres ist durch einen Mann von globaler Bedeutung bekannt geworden: Denis Diderot wurde dort am 5. Oktober 1713 geboren (gest. 31. Juli 1784 in Paris). Seine Schriften zeichnen ihn als einen der Protagonisten der Aufklärung aus sowohl in philosophischer wie in dichterischer Hinsicht und im Blick auf eine "erleuchtete" vorurteilsfreie Menschlichkeit.
Die herausragendste Leistung jedoch besteht darin, dass er zusammen mit dem Mathematiker, Physiker und Philosophen Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717-1783) die große französische Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers herausgab (= Enzyklopädie oder ein durchdachtes Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und der Handwerke)Sie enthält über 72.000  Artikel.
Der 1. Band der Enzyklopädie erschien am 1. Juli 1751 (Herodot.net, 28.09.2012)
In dieser Zusammenstellung des gesamten bekannten weltweiten Wissens der damaligen Menschheit schrieb Diderot selbst immerhin 6.000 Artikel !
Man darf sagen, dass er zusammen mit den anderen Autoren in gewisser Weise den Vorläufer von Wikipedia (mit inzwischen über 1.800.000 Artikeln) erfunden hat. Angesichts der medialen Möglichkeiten des 18. Jahrhunderts liegt ein geradezu gigantisches Werk hier vor uns.

Es soll an dieser Stelle aber noch angemerkt werden, dass er auch als Dramatiker, Schriftsteller und Philosoph hervortrat. In seiner Kirchen- und Religionskritik stellte er die Deutungshoheit der Kirche über das Verständnis der Welt in Frage und gab den (natur-)wissenschaftlichen Sichtweisen konsequent Raum. Damit stand nicht mehr der Glaube an Schöpfung und Erlösung im Mittelpunkt, sondern die Selbstbestimmung des Menschen, der sich von allen Unfreiheiten löst. Dieses Denken führte ihn mehr und mehr von einer theistischen Sicht zu einer eher a-theistischen Haltung. 
Diese a-theistischen Gedanken, verbunden mit einem an der Vernunft orientierten  Toleranzverständnis im Sinne wahrer Menschlichkeit 
hat bereits Pierre Bayle (1647-1706) zum Ausdruck gebracht. Toleranz (1686), Suhrkamp stw 2183, 2016:
>>> Inhalt, Kommentar, Leseprobe
  

Man könnte Bayle als Diderots geistigen Vorgänger bezeichnen.
Diese Haltung war wie bei vielen seiner aufklärerischen Zeitgenossen in Europa durch die Dialektik von raison (Vernunft), sens (Sinnhaftigkeit, Verstand) und sensibilité (Empfindsamkeit) geprägt. Das Schwergewicht legte er auf die sensibilité, die er als eine universale Geisteshaltung beschrieb (sensibilité universelle)

Darin besteht die wahre Menschlichkeit: 
"Menschlichkeit - Humanité: Das ist ein Gefühl des Wohlwollens für alle Menschen, das nur in einer großen empfindsamen Seele aufflammt. Diese edle und erhabene Begeisterung kümmert sich um die Leiden der anderen und um das Bedürfnis, sie zu lindern; sie möchte die ganze Welt durcheilen, um die Sklaverei, den Aberglauben, das Laster und das Unglück abzuschaffen. Sie verbirgt vor uns die Schwächen der Mitmenschen oder verhindert dadurch, diese Schwächen zu fühlen, macht uns aber unerbittlich gegenüber Verbrechen. Sie entreißt dem Bösewicht die Waffe, die dem guten Menschen zum Unheil werden könnte. Sie verführt uns nicht, uns von besonderen Pflichten zu befreien, sondern macht uns - im Gegenteil - zu besseren Freunden, besseren Eheleuten, besseren Staatsbürgern. Es macht ihr Freude, die Wohltätigkeit auf alle Wesen auszudehnen, die die Natur neben uns gestellt hat. Ich habe diese Tugend, eine Quelle so vieler anderer Tugenden, zwar in vielen Köpfen bemerkt, aber nur in wenigen Herzen."                                        
(Diderot, Encyclopédie: Artikel  Humanité, 8. Band, 1766)

  • Ausführliche Darstellung zu Leben und Werk (wikipedia.fr)
  • Isabelle Grégor: Diderot (1713 - 1784) Un philosophe athée au « Siècle des Lumières »
           Diderot - ein atheistischer Philosophe im Zeitalter der Aufklärung (Herodote.net, 02.04.2022)
  • Freundschaft und Zerwürfnis mit Jean-Jacques Rousseau

    >>> Jean-Jacques Rousseau - 1712 - 1778 (wikipedia)

    >>> Rousseau, un éducateur pour les modernes (Benoît PEUCH, Nonfiction, 14.03.2023)

    Marian Hobson: Diderot and Rousseau - Networks of Enlightenment. Oxford University Studies in the Enlightenment. Voltaire Foundation University Oxford (UK) 2011, 385 pp. - ISBN-10: ‎ 0729410110 -ISBN-13: ‎ 978-0729410113
    >>> Annette Floren: Die Lust am Denken - Der Aufklärer Diderot 
    (Die Zweite Aufklärung., 10.02.2022


    2020, 400 S. --- Verlagsinformation >>>
    Hans Ulrich Gumbrecht über Denis Diderot:
    Genialisch verzappelt (SZ 11.10.2020)
    Freundschaft, Misstrauen und Zerwürfnis -
    Der Bildhauer und der Philosoph:
    Étienne-Maurice Falconet - Denis Diderot  
    Frédéric Vitoux
     ---  L'ours et le philosophe. 
    --- Der Bär und der Philosoph ---

     
    Paris: Grasset 2022, 384 pp.
    Verlagsinformation (französisch-deutsch)
     
     
    Histoire des Deux Indes in:
     Histoire philosophique et politique
    Guillaume-Thomas Raynal,  Denis 
    Diderotd’HolbachNaigeon
    PechméjaSaint-LambertLagrangeNaigeon et al. 1770




     
    Besprechungen von 5 Titeln bei "Perlentaucher" >>>

    Zur Jugend von Denis Diderot 
    Franco Venturi: La Jeunesse de Diderot (1713-1753). Traduit de l'italien par Juliette Bertrand.
    Genève: Slatkine Reprints 1967, 421 S. --- 
    Ausführliche Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis


    Diderot und die Religion
    Von der Philosophie zur Gottlosigkeit ist es eben so weit wie von der Religion zum Fanatismus, aber vom Fanatismus zur Barbarei ist es nur ein Schritt.
                                                                 (aus: Dédicace de l'essai sur le mérite et la vertu, 1745)                                                                                                             --- der vollständige Originaltext: hier    

    Diderot zu Interesse und Erkenntnistheorie, Anthropologie und Materialismus

    Sophie Audidière: PASSIONS DE L'INTÉRÊT. 
    Matérialisme et anthropologie
    chez Helvétius et Diderot. 
    Paris: Honoré Champion 2022, 478 pp.




    Diderot: Langres und Paris

    Langres besitzt mit dem Geburtshaus von Diderot das einzige Museum
    dieses berühmten Enzyklopädisten in Frankreich: Le Musée des Lumières.
    Bei einem Rundgang dort werden die BesucherInnen zum einen in das Leben und Wirken von Diderot und einiger seiner Zeitgenossen und aufklärerischen Mitstreiter eingeführt.
    Zum andern erlebt man ein Stück europäischer Geistesgeschichte nach,
    die die Welt gesellschaftlich und politisch grundlegend verändert hat.
    Diderot gehört zu den visionären Protagonisten einer Zeitenwende hin zum "Licht des Geistes"
    und damit zu den Protagonisten für eine aufgeklärtes, idealistisches Menschenbild.
    Vgl. das Schema zu den verschiedenen Typen der Menschenbilder
    im Blick auf Menschenwürde und Menschenrechte.
    Diderot ist in einem Zuge neben vielen anderen zu nennen -
    mit Immanuel Kant, René Descartes, Wilhelm Gottfried Leibniz, Voltaire, Jean Racine,
    Gotthold Ephraim Lessing und Jean-Jacques Rousseau.
    Johann Gottfried Herder und Diderot begegneten sich freundschaftlich 1769 in Paris.
    Vgl. dazu J.G. Herder: Sämmtliche Werke zu Religion und Theologie (2012)

    Zitat in Google Books, S. 123 --- in 16. Teil der Ausgabe 1820

    Denis Diderot - Porträt im Museum

     
    Place Diderot im Zentrum von Langres




    Europa der Aufklärung
     Die Reisen von Diderot bis nach Russland

    Diderot und die Kunst


    Madame de Pompadour (1721-1764)
    Mätresse von König Ludwig XV.,
    Förderin von Diderot

    Die Herausgeber der Enzyklopädie:
    Jean-Baptiste le Rond d'Alembert und Denis Diderot


    Präsentation der Gesamtausgabe


    Erscheinungsjahre der einzelnen Bände





    Denis Diderot,
    gemalt von Dimitri Levitzky 1773/1774
    (Wikipedia.fr)

    Kirche Saint-Roch, Paris. Im Chor ist Diderot begraben.
    (wikipedia: Eglise Saint-Roch-Paris)
    >>> Details zur Kirche (patrimoine.histoire)


    Lizenz: CC

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